Fallstudie – Planung, Methode & Forschungsdesign

Alles, was Sie über die Umsetzung einer Case Study wissen müssen – mit Checkliste.

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Marko & Fabian | 18.10.2023 | Lesedauer 5 min

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Ein klassisches Beispiel für eine Fallstudie ist die Untersuchung des Tylenol-Mordes im Jahr 1982, die wichtige Erkenntnisse über Krisenkommunikation lieferte.

Der Begriff der Fallstudie beschreibt zunächst einmal eine empirische Forschungsmethode. Die Fallstudie (häufig auch Case Study genannt) unterscheidet sich dabei durch zwei zentrale Merkmale von anderen empirischen Forschungsmethoden:

Erstens wird mit der Fallstudienmethode ein aktuell relevanter bzw. zeitgenössischer Sachverhalt untersucht. Damit lässt sich die Fallstudie von Methoden abgrenzen, die sich mit in der Vergangenheit liegenden Fällen auseinandersetzen.
Zweitens kann es als charakteristisches Merkmal einer Case Study verstanden werden, dass die Grenze zwischen dem beobachtbaren Sachverhalt und dem Kontext nicht trennscharf gezogen werden kann. Aus diesen beiden hauptsächlichen Alleinstellungsmerkmalen resultiert eine Reihe von Eigenschaften der Methode der Fallstudie, bspw. die Nutzung unterschiedlicher Datenquellen oder die Notwendigkeit einer empirischen Vorarbeit.

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Die Methodik der Fallstudie hat eine reiche Geschichte. Prominente Forscher wie Robert K. Yin und Stake haben wesentlich zu ihrer Entwicklung beigetragen. Historisch bedeutsame Fallstudien, wie die Fallstudie von Phineas Gage im Bereich der Neuropsychologie, demonstrieren die Bedeutung dieser Methode in der wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der von Forschenden zu untersuchenden Phänomene kann es darüber hinaus kein standardisiertes Layout für eine Fallstudie geben. Wir zeigen Ihnen im Folgenden einen Prozess auf, der Sie bei der Anlage und Umsetzung der Methodik einer Case Study unterstützt. Im Gegensatz zu quantitativen Methoden ermöglichen Fallstudien eine tiefgehende Untersuchung von Phänomenen in ihrem natürlichen Kontext.

Planung der Fallstudie

Der erste Schritt ist darauf ausgerichtet, ein Forschungsprotokoll zu erarbeiten. In diesem Protokoll sind die Rahmenbedingungen für die durchzuführende Fallstudie festzuhalten. Hierzu gehört zum einen die Festlegung des Forschungsziels. Dieses kann explorativer, deskriptiver oder explanativer Natur sein, wobei auch eine Kombination der drei Varianten möglich ist. Ebenfalls zur Planung der Fallstudie gehören zum anderen die Analyse der relevanten Literatur sowie die Ableitung von Hypothesen, die im Rahmen der Fallstudie einer Untersuchung unterzogen werden sollen. Es ist essentiell, eine klare Forschungsfrage zu formulieren, die als Leitfaden für die gesamte Studie dient.

Tipps

Die Stakeholder-Analyse ist ein kritischer Schritt in der Planungsphase einer Fallstudie. Durch das Verständnis der Interessen und Bedenken der verschiedenen Stakeholder können Forscher besser navigieren und ihre Forschungsfragen und -ziele anpassen. Beispielsweise könnte eine explorative Zielsetzung angestrebt werden, wenn das Interesse an einem neuen oder wenig verstandenen Phänomen gross ist.

Entwurf des Forschungsdesigns für eine Case Study

Der zweite Schritt umfasst den Entwurf des Forschungsdesigns. Zu beantworten sind in diesem Schritt insbesondere zwei Fragestellungen:

  • Wie viele Situationen sollen die empirische Grundlage für die Gewinnung der theoretischen Aussagen liefern? Geht es also um eine Einzelfall- oder Mehrfallstudie?
  • Wie viele Analyseebenen soll die Fallstudie umfassen? Handelt es sich also um eine eingebettete Fallstudie oder ein holistisches Fallstudiendesign?

Bei einer Einzelfallstudie bildet eine einzige Situation (z. B. eine kritischer Fall, ein Extremfall, ein typischer Fall, …) die empirische Grundlage zur Gewinnung theoretischer Aussagen. Bei einer Mehrfallstudie sind mindestens vier Fälle für die Fallstudie zu analysieren. Der Vorteil der Mehrfallstudie liegt insbesondere in der grösseren Robustheit und Belastbarkeit der Ergebnisse. Ein holistisches Fallstudiendesign verfolgt die Zielsetzung einer ganzheitlichen Analyse des Falls, weshalb darauf verzichtet wird, auf einzelne Fragestellungen im Detail einzugehen. Durch dieses Vorgehen können deshalb Theorien mit einem hohen Abstraktionsgrad gewonnen werden. Im Gegensatz dazu analysieren eingebettete Fallstudien einzelne Aspekte des Falls. Dadurch werden zwar wichtige Bereiche beleuchtet, es besteht allerdings die Gefahr, dass bei dieser Methode der Gesamtkontext verloren geht.

Vorbereitung und Durchführung der Datensammlung

Die Vorbereitung und die Durchführung der Datensammlung für die Case Study stellen den dritten Schritt des eigentlichen Forschungsprozesses dar. Für die Datensammlung steht eine Reihe unterschiedlicher Methoden zur Verfügung. Beispiele hierfür sind Interviews, Expertengespräche, Beobachtungen (direkt bzw. teilnehmend), Archivdaten, die Analyse von Artefakten oder der Besuch von Veranstaltungen wie etwa Messen oder Fachkongressen. Zu berücksichtigen ist, dass die einzelnen Methoden für Fallstudien jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. Insofern bietet es sich auch an, mehrere der angeführten Quellen zu kombinieren sowie methodische oder theoretische Triangulationen vorzunehmen. Weiterhin wird empfohlen, eine Pilotstudie durchzuführen. Hierzu sollten die Forschenden einen komplexen Fall auswählen, um bei der eigentlichen Durchführung mit hoher Wahrscheinlichkeit auftretende Herausforderungen frühzeitig identifizieren und diesen adäquat begegnen zu können.

Durchführung der Datenanalyse

Die Auswahl der Analysetechniken ist entscheidend für die Validität der Fallstudie. Techniken wie thematische Analyse, narrative Analyse oder statistische Analyse können je nach Forschungsfragen und Datenart angewendet werden. Software-Tools wie NVivo oder SPSS können die Datenanalyse effizienter und genauer gestalten.
Für die Datenanalyse wird das vorliegende Datenmaterial zunächst auf Muster hin untersucht und ein Vergleich der identifizierten Muster vorgenommen. Dieser Vorgang bei dieser Forschungsmethode wird als Pattern Matching bezeichnet. Möglich sind auch Analysen im Hinblick auf die genutzten Datenquellen oder Paarvergleiche. Im Anschluss kann ein Vergleich der empirisch gewonnenen Ergebnisse mit den aus der theoretischen Vorarbeit aufgestellten Hypothesen vorgenommen werden. Möglich sind dabei zwei Arten von Ergebnissen:

  • Literal Replication:
    Mehrere der untersuchten Fälle führen zu gleichen Ergebnissen.
  • Theoretical Replication:
    Mehrere Fälle führen zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen, diese werden jedoch durch die theoretische Vorarbeit bzw. die aufgestellten Hypothesen gestützt.

Liegt der Fallstudie eine explanative Zielsetzung zugrunde, so können aus den generierten Daten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge abgeleitet und logische Modelle entwickelt werden.

Verfassen des Fallstudienreports

Das Verfassen des Fallstudienreports stellt den letzten Prozessschritt dar. Ihn im fassen die Forschenden folgende Inhalte zusammen:

Die Interpretation und Kommunikation der Ergebnisse ist ein wesentlicher Aspekt des Fallstudienberichts. Visualisierungen wie Diagramme und Infografiken können helfen, komplexe Ergebnisse zu veranschaulichen und die Schlüsselbefunde effektiv zu kommunizieren.

 

Wann ist eine Fallstudie eine gute Fallstudie?

Um die Qualität einer Fallstudie sicherzustellen, sollten Forschende bei ihrer Arbeit eine Reihe von Gütekriterien erfüllen. So sollte eine Fallstudie immer objektiv sein, d. h., die Froschungsmethode muss für Dritte transparent und nachvollziehbar gestaltet sein. Weiterhin muss eine Konstruktvalidität gegeben sein, d. h., der Forscher muss sicherstellen, dass er für den zu beobachtenden Sachverhalt sowohl die richtigen Konstrukte als auch geeignete Messgrössen verwendet. Schliesslich sollte eine Fallstudie auch reliabel angelegt sein, d. h., es muss eine Wiederholbarkeit der Untersuchung gewährleistet sein. Dies kann bspw. durch die Anlage und das strikte Befolgen eines Forschungsprotokolls für die Case Study realisiert werden.

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Technologische Unterstützung bei Fallstudien

In der modernen Forschungslandschaft können diverse Software-Tools die Durchführung von Fallstudien erheblich erleichtern. Datenanalyse-Software ermöglicht eine effiziente Auswertung grosser Datenmengen, während Projektmanagement-Tools die Organisation und Koordination des Forschungsteams unterstützen. Präsentationssoftware ist unerlässlich, um die Ergebnisse klar und ansprechend zu visualisieren. Diese technologische Unterstützung ist nicht nur eine Zeitersparnis, sondern fördert auch die Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit der Fallstudie. So können Forschende sich auf die Kernaspekte der Fallstudie konzentrieren und gleichzeitig von einer verbesserten Datenverwaltung und -präsentation profitieren.

Checkliste für die Erstellung einer Fallstudie:

  1. Definition der Forschungsfrage:
  • Klare und spezifische Forschungsfrage formulieren.
  • Überlegen, wie die Forschungsfrage zur Theoriebildung und/oder Praxis beitragen kann.
  1. Literaturüberprüfung:
  • Relevante Literatur identifizieren und analysieren.
  • Bestehende Theorien, Modelle und Forschungsergebnisse verstehen.
  1. Planung der Fallstudie:
  • Forschungsziel festlegen (z.B. explorativ, deskriptiv, explanativ).
  • Forschungsprotokoll erstellen, inklusive Methoden der Datenerhebung und -analyse.
  1. Auswahl des Falles:
  • Relevante, einzigartige oder typische Fälle identifizieren.
  • Stakeholder-Analyse durchführen.
  1. Datenerhebung:
  • Methoden der Datenerhebung festlegen (z.B. Interviews, Beobachtungen, Dokumentenanalyse).
  • Datenerhebungsplan erstellen und Pilotstudie durchführen.
  1. Datenanalyse:
  • Daten systematisch analysieren, Muster identifizieren.
  • Beziehungen zwischen Variablen untersuchen und Theorien entwickeln.
  1. Ergebnisbericht:
  • Schlüsselergebnisse klar und prägnant präsentieren.
  • Visualisierungen verwenden, um komplexe Ergebnisse zu veranschaulichen.
  1. Bewertung und Reflexion:
  • Ergebnisse im Kontext der Forschungsfrage und der bestehenden Literatur bewerten.
  • Reflexion über die Methodik und die Erkenntnisse der Fallstudie.

FAQ

Die Vorteile einer Fallstudie gegenüber anderen Forschungsmethoden?

Fallstudien ermöglichen eine tiefe Exploration und ein umfassendes Verständnis von komplexen realen Phänomenen in ihrem natürlichen Kontext. Sie bieten die Möglichkeit, qualitative und quantitative Daten zu integrieren, und fördern die Entwicklung von Theorien aus der Praxis heraus.

Wie wählt man einen Fall für eine Fallstudie aus?

Die Auswahl eines Falles sollte auf dessen Relevanz, Einzigartigkeit oder typische Vertretung in Bezug auf das Forschungsinteresse basieren. Ein guter Fall kann neue Erkenntnisse, Lernmöglichkeiten oder eine Herausforderung bestehender Annahmen bieten.